Was bedeutet Yoga eigentlich? Welcher Yoga passt zu Dir und wann bist Du bei mir richtig? Eine Orientierungshilfe im Dschungel der Yoga-Stile.
Jeder Mensch ist anders und jeder Tag ist neu. Vielfalt macht den Reichtum des Lebens aus. Dementsprechend war und ist eine Ausdifferenzierung und Verbreitung unterschiedlicher Yogastile zu begrüßen. Manch neuer Stil mag dabei der Eitelkeit seines Begründers geschuldet, nicht jeder der mittlerweile zahlreichen Lehrerinnen und Lehrer geeignet und das „Gepose“ auf Instagram etc. entbehrlich sein – es menschelt eben auch im Yoga.
Yoga ist längst kein Trend mehr, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen, um zu bleiben. Yoga als neues Bauch-Bein-Po im Fitnessstudio und Co.? Für mich der falsche Ort, allerdings sehe ich das mittlerweile ähnlich pragmatisch wie mit Bio-Lebensmittel im Supermarkt: Wenn es die Hemmschwelle senkt, dass Menschen etwas ausprobieren und sich von dessen positiven Wirkungen überzeugen können, dann ist das gut so. Klug aufgebaute, atemgeführte Körperübungen (asana), die Konzentration erfordern und fördern, sind ein guter Yoga Einstieg. Mit einer kontinuierlich fortschreitenden, achtsamen und freudvollen Praxis, die auch Atem- und mentale Techniken, Meditation umfasst, der Beschäftigung mit der Philosophie bzw. Psychologie des Yoga sowie entsprechend qualifizierten Lehrer*innen wird aus Gymnastik Yoga. Eines Tages ist Yoga zur lebensbejahenden inneren Haltung geworden, die nicht mehr vom alltäglichen – bewussten – Handeln zu trennen ist.
Dennoch betrachte ich die zunehmende Kommerzialisierung der Yoga-Welt durchaus kritisch. Wie weit mit Moden bzw. Skurrilitäten, die heute von SUP-Yoga, Ziegen- und Hunde-Yoga über Clubbing-Yoga, Ganja-Yoga, Bier-Yoga und Karaoke-Yoga zum Wut-Yoga und Nackt-Yoga reichen, noch die Essenz erkannt und das Selbst ausgedrückt werden kann, mag jede/r für sich selbst erfahren.
Eine grundsätzliche Klarstellung vorab: Yoga ist keine Religion, keine Akrobatik oder Sportart, Yoga ist kein Fitness-, Wellness-, Schönheits- oder Unterhaltungsprogramm.
Es gibt sie nicht, die eine Definition von Yoga; der Begriff hat vielfältige Bedeutungen:
– Die Bündelung bzw. Ausrichtung und Beruhigung des Geistes
– Achtsames Handeln (Kriya-Yoga: Bemühen, Selbsterforschung, Hingabe)
– Etwas bislang Unerreichtes erreichen
– Die Verbindung weiblicher und männlicher Energie, Einheit von Körper, Atem und Geist, die Verbundenheit mit anderen Menschen sowie mit dem größeren Ganzen – oder, wie Mark Whitwell es so schön formuliert: Vereinigung mit dem Leben.
Die zahlreichen Bedeutungen haben eines gemeinsam: eine Veränderung des Bewusstseins, eine innere Entwicklung.
Wenngleich Yoga in Indien religiös verwurzelt ist, ist sein Inhalt universell. Einer der Yoga-Grundlagentexte, das Yoga Sutra von Patanjali (2-4 Jhdt.) und die atheistische Sankhya-Philosophie bereiteten einen säkularen Yoga-Weg zu weniger Leid (Schmerz, Trauer, Zorn, Hass, Sorge, Angst,...) und mehr Gelassenheit, Zufriedenheit und Wohlbefinden. Da dieses gute Gefühl, nachdem wir letztlich alle streben, nicht bzw. nur oberflächlich und kurz im Außen zu finden ist, führt die Reise ins Innere. Die gute Nachricht lautet: Unsere Befindlichkeit, der Zustand unseres Geistes – d.h. unser Wahrnehmen, Denken und Fühlen – kann durch eigenes Bemühen verändert werden. Mit den vielfältigen Methoden des Yoga können wir uns unabhängig von nicht förderlichen mentalen Mustern machen. Und damit wären wir am Ziel: der inneren Befreiung, des bei sich selbst Ankommens, der Selbst-Verwirklichung.
Der sich über die Jahrtausende entwickelte Yoga verfeinerte sich zunächst vorwiegend philosophisch-spirituell. Der mittelalterliche Hatha Yoga entwickelte sich aus der Tantra-Bewegung, der wir es verdanken, dass körperliche Aspekte integriert wurden. Hier gilt es gleich ein Missverständnis auszuräumen: Tantra ist kein rein sexueller, sondern ein ganzheitlicher Weg zur "energetischen Einheit" der Polarität femininer und maskuliner Aspekte. Die Lebensenergie (prana) soll über Atem- und Körperübungen harmonisiert und damit der Geist beruhigt bzw. unter Kontrolle gebracht werden. Hatha-Yoga ging und geht teilweise heute noch von der überholten mechanistischen Vorstellung aus, „durch extreme Übungen den Körper von Unreinheiten befreien zu können“, die einen freien Fluss von Prana blockieren.
Götterverehrung, magischer Glaube und Allmachtsphantasien führten zu seinem Niedergang. Tollkühne Akrobatik, esoterische Spekulationen, religiöse Indoktrination und bizarre Praktiken zur Erlangung magischer Kräfte und ewigen Lebens finden wir auch heute noch am Yoga-Jahrmarkt. Für deren Verbreitung sorgte u.a. der indische Mönch Swami Vivekananda (1863-1902) mit seinem Vortrag beim Weltparlament der Religionen in den USA 1893. Die Begeisterung des Westens für eine körperorientierte Yogapraxis verhalf dem Yoga auch in Indien wieder zu mehr Popularität. Weitere Verbreitung fand er vor allem in den 1960/70ern, die Beatles, Hippies und Abenteurer*innen pilgerten nach Indien und bereiteten der Wellness-Industrie den Weg, und damit dem bis jetzt anhaltenden Boom: Fit, schön, sexy und erfolgreich mit Yoga.
Mittlerweile gibt es ein nahezu unüberschaubares, sehr unterschiedliches und nicht immer seriöses Yoga-Angebot. Die im deutschsprachigen Raum verbreitetsten Yoga-Stile möchte ich im Folgenden auf Basis ihres jeweiligen Selbstverständnisses und meiner Erfahrung kurz skizzieren.
Nachdem ich für mich geklärt habe, dass Spiritualität nicht mit Religion und Esoterik gleichzusetzen ist, konnte ich mich dieser öffnen. Das Verständnis, dass meine Mitwelt einen Wert an sich hat und ich Teil eines größeren Ganzen bin – ich nenne das nicht Gott, sondern Leben – war ohnedies Basis meines jahrzehntelangen Engagements für Nachhaltige Entwicklungen. Spiritualität bedeutet für mich, bewusst im Jetzt zu sein, mich aus der Herrschaft meines Egos, meines Denkens zu befreien, quasi den Verstand mit meinem Herzen zu verbinden und mehr auf meine Intuition, meine innere Weisheit sowie dem Fluss des Lebens zu vertrauen.
Yogi Bhajan (1929-2004) brachte den in der Tradition verwurzeltem und mit weißen Tantra verbundenen dynamischen KUNDALINI Yoga mit intensiven Atemübungen und Mantrasingen für mehr Lebensenergie und Bewusstheit nach Kanada und L.A.. Erfahrungen habe ich bislang noch wenig damit gemacht, was an den inhaltlichen Bezügen zur Religion (Sikh) samt weißem Turban liegen mag
Neben Körperübungen sind Atem-, Meditations- und Entspannungsübungen zentraler Bestandteil meiner Stunden. Ich vertrete einen ganzheitlichen Ansatz und lasse Yogaphilosophie bzw. -psychologie für den Alltag in meine Stunden einfließen. Allerdings werden in meinen Stunden keine hinduistischen Götter angebetet. Ich unterrichte demnach auch keinen SIVANANDA Yoga, der auf Swami Sivananda (1887-1963; Rishikesh) zurückgeht, der 1957 einen seiner engsten Schüler, Swami Vishnudevananda, in den Westen entsandte. Das heißt allerdings nicht, dass ich dem Klang keine Bedeutung beimesse; zumindest ein OM – der Urklang, der für alles steht, was gewesen ist, was ist, sein könnte und was noch sein wird – beginnt und beendet jede meiner Stunden.
T. KRISHNAMACHARYA (1888-1989; Madras) gilt als Vater des modernen Yogas, dem wir die Rückbesinnung auf das Yoga Sutra und die Anpassung der Übungen an die individuellen Gegebenheiten des/r Übenden verdanken. Aus dieser Tradition, die sein Sohn T.K.V. DESIKACHAR (1938-2013) fortsetzte und ab den 1960ern im Westen zum Individuum passenden VINIYOGA unterrichtete, entstand auch – der für mich heute maßgebliche – therapeutisch orientierte Yoga: Eine intelligent aufgebaute, einfache, variantenreiche, schmerzfreie und kontinuierliche Übungspraxis, die das Vertrauen in das eigene Heilungspotential, die Selbstwirksamkeit stärkt; prozessorientiert an den konkreten Wirkungen und Erfahrungen. Darin vertiefe ich mich gegenwärtig.
Sein Schüler, Sri K. Pattabhi Jois (1929-2004; Mysore) prägte den ASHTANGA Yoga mit seinen vorgegebenen Übungsserien und mit dem Atem fließenden Übergängen, eingebettet in eine lebendige Tradition, Mantras stehen am Beginn und am Ende jeder Praxis. Die philosophische Basis bildet Patanjalis Yoga Sutra.
Beim daraus von David Life und Sharon Gannon entwickelten Jivamukti Yoga spielen neben einer herausfordernden körperlichen Praxis mit Hands-on Hilfestellungen auch Singen, Meditation, Hingabe und Gewaltlosigkeit eine wichtige Rolle.
Weitere Asthanga Sprösslinge sind Power Yoga und Vinyasa Yoga, meist mit Hintergrundmusik.
Ich liebe diese intensiven Flows, d.h. meist mehrmals wiederholte, mit bewusster Atmung fließende Abfolgen aus mehreren Asanas, wenn ich mich morgens oder untertags aktivieren möchte. Aber Achtung: Zu schnell ausgeübte, krafterfordernde Flows ohne entsprechende Vorbereitungsübungen gehen insbesondere bei Yogis und Yoginis mit weniger Erfahrung bzw. Muskelkraft oder Beweglichkeit häufig zulasten einer körpergerechten Ausrichtung – die Verletzungsgefahr steigt.
Die immer gleiche Abfolge an Yogaübungen wird von Manchen empfohlen, wenn man schnell Erfolge erzielen möchte. So werden im populären Bikram Yoga 26 Übungen praktiziert – bei 40° Raumtemperatur und 40 Prozent Luftfeuchtigkeit, im verspiegelten Raum. Ohne den Bikram Fans nahe treten zu wollen – mich reizt die Vorstellung meist voll gepackter Yoga Klassen mit spärlich bekleideten Menschen, von denen lt. Gründer Bikram Choudhury 60 Prozent sexuell nicht ausgelastet sind, und deren Schweiß auf meiner Matte einfach nicht. Zudem hat Bikram, der in den 1970er-Jahren in die USA emigrierte und von Los Angeles aus ein internationales Yoga-Imperium aufbaute, die im Zuge von #MeToo aufgetauchten Anschuldigungen wegen sexuellem Missbrauch nicht überzeugend ausgeräumt. Eine Problematik die sich inzwischen auf viele Yogaschulen ausgeweitet hat.
Da mir eine gesundheitsorientierte Ausrichtung sehr wichtig ist, sage ich die Haltungen grundsätzlich detailliert an, biete Varianten an und setze Hilfsmittel ein. BKS IYENGAR (1918-2014; Pune), ebenso Schüler von Krishnamacharya, verdanken wir eine präzise Ausrichtung von Muskeln, Knochen und Gelenken und den Einsatz von Hilfsmitteln wie Gurte, Blöcke, Kissen, Decken und Stühle. Diese ermöglichen auch im Gruppenunterricht eine Abstimmung auf individuelle Bedürfnisse etwa bei körperlichen Einschränkungen. Dem kann ich sehr viel abgewinnen, wenngleich es mir zu einseitig körperbetont erscheint und ich den Unterrichtsstil im Rahmen meiner Ausbildung als zu streng und hierarchisch empfunden habe.
Weniger Perfektion, dafür mehr Freude an der Yogapraxis verheißt der mit Anmut fließende, lebensbejahende und Herzensqualitäten fördernde Anusara Yoga. Ein auf den Alltag übertragenes philosophisches Thema steht im Fokus jeder Stunde. Nach einem Skandal und dem Rückzug seines Gründers John Friend hat sich die Anusara Gemeinde neu organisiert.
Meine Stundenbilder stelle ich entsprechend der Tages- und Jahreszeit sowie nach Lebensthemen immer wieder neu zusammen. Meine abendliche – entspannende – Yogastunde lasse ich ruhiger angehen: vom YIN-Yoga inspiriert, halten wir die Asanas vornehmlich im Sitzen und Liegen ohne aktive Muskelkraft länger. Die Dehnung geht in tiefere Schichten des Bindegewebes, Anspannungen und Blockaden können gelindert bzw. gelöst und der Energiefluss verbessert werden. Eine optimale Ergänzung zu dynamischeren Stilen oder sportlichen Aktivitäten.
Viele Lehrer/innen mischen unterschiedlichen Stile im Unterricht und in der eigenen Yogapraxis – je nachdem, was sich für sie sinnvoll und stimmig anfühlt. Schon als Wissenschaftlerin wollte ich mich nicht durch eine Disziplin einengen lassen. Undogmatisch, achtsam, liebevoll und mit sanfter Intensität beschreibt meinen meinen gesundheits-und ressourcenorientierten Zugang wohl am besten. Sich selbst zu erkennen und authentisch zu leben, ist eine sehr persönliche und heilsame Erfahrung, die jede und jeder nur für sich selbst machen kann. Als Lehrerin kann ich Dich dabei begleiten. Wie schon in meinem früheren Arbeitsfeld ist mir eine partnerschaftliche Herangehensweise, ein gegenseitiger Lernprozess ein wesentliches Anliegen; sozusagen als Gegenentwurf zur „Yogaindustrie“ mit ihren sogenannten Gurus, wo suchende Menschen körperlich und psychisch verletzt, manipuliert und ausgebeutet werden.
Ich empfehle Dir, – durchaus mit kritischem Blick –verschiedene Stile, Lehrerinnen und Lehrer auszuprobieren und zwar mehrfach, da sich Körper, Wünsche und Bedürfnisse, Wahrnehmungen, Einstellungen und Handlungen, Lebenssituation und Yogapraxis im Laufe der Zeit verändern.
Egal ob Du eher ein sportlicher, spiritueller, philosophischer oder emotionaler Typ bist – wage es, Dich auf etwas Neues, Ungewohntes einzulassen, und einmal nicht jenen Yoga-Stil zu wählen, der ohnedies Deinen Neigungen entspricht. Entscheidend ist jedenfalls, dass die Chemie mit der Lehrerin bzw. dem Lehrer Deines Vertrauens stimmt.
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Wenn Du noch unsicher bist, ob mein Yoga auch Dein Yoga ist, kannst Du einfach in die erste Stunde zum Schnuppern kommen und danach entscheiden, ob es für Dich passt und ich Dich auf Deinem Yoga-Weg begleiten darf.
Ich freue mich auf Dich!
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Literatur
Desikachar, T.K.V. (2015): Yoga. Tradition und Erfahrung. Die Praxis des Yoga nach dem Yoga Sutra des Patanjali. Verlag Via Nova, Petersberg.
Skuban, Ralph (2011): Patanjalis Yogasutra. Der Königsweg zu einem weisen Leben. Arkana, München.
Dalmann, Imogen, Soder, Martin (2013): Heilkunst Yoga. Yogatherapie heute. Viveka Verlag, Berlin.
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Erstveröffentlichung November 2017, letzte Aktualisierung 21. April 2020