„Sei du selbst. Alle anderen sind bereits vergeben.“ (Oscar Wilde)
Das Falsche und Unechte erscheinen heute überrepräsentiert, fast schon „norm“al: von der unheilvollen Selbstinszenierung in der Politik und Erfindung "alternativer Fakten“ über künstliche Welten der Unterhaltungsindustrie und dem boomenden Geschäft mit der „Schönheit“ bis hin zum Selbstmarketing mittels manipulierten, gefilterten Bildern auf sozialen Plattformen.
Will die Welt tatsächlich belogen werden?
Warum machen wir uns und anderen etwas vor?
Erkennen wir uns selbst nicht (mehr)?
Wo fängt der Bluff an? Beim Achselhaare rasieren, Wimpern tuschen und Haare färben oder Botox und Co? Wo geht es um individuelles Wohlfühlen und wann wird die Selbstoptimierung für bessere Chancen im Job und in der Partnerwahl fragwürdig, ja würdelos?
Wie ist das bei Dir? Wo täuscht Du Dich selbst und andere?
Bist Du Dir Deiner dahinter liegenden Konditionierungen und Ängste bewusst?
Kannst Du den ungeschönten Blick auf Dich selbst ertragen?
Traust Du Dich der Welt so zu zeigen, wie Du bist bzw. zu sein vermagst?
Oder versteckst Du Dich hinter beruflichem Erfolg, materiellem Reichtum, Status- und Machtsymbolen?
Wie authentisch, ehrlich, wahrhaftig und integer bist Du - oder anders gefragt, welche Werte prägen Deine Identität, also das Bild, dass Du über Dich selbst hast?
Welche Werte leiten Dein Handeln und Dein Sein?
Kennst Du überhaupt Deine Werte?
Und wieviel Macht über Dein Leben gibst Du an Dein soziales Umfeld ab?
Es ist Deine Entscheidung, ob Du lebst oder gelebt wirst.
Je klarer Dir Deine innere Orientierung ist, je mehr Du Deine Werte lebst, desto selbstbestimmter, souveräner kannst Du Dein Leben Sinn-erfüllt gestalten und umso mehr inneren Frieden, Freiheit und Liebe entfalten - vorausgesetzt, Du möchtest das überhaupt; und lebst nicht in einem Teil der Welt, wo dies lebensbedrohlich sein könnte.
In diesem Blog-Beitrag geht es nicht zuletzt um Wert- und Selbst-Treue. Yoga kann Dich dabei unterstützen, im Einklang mit Dir selbst zu sein, mit dem was Du fühlst, denkst, sagst und tust: Satya ist die zweite der zehn ethischen Verhaltensrichtlinien (yama und niyama) im Umgang mit unserer Mitwelt sowie mit uns selbst auf dem achtgliedrigen Yogapfad nach Patanjalis Yoga-Sutra.
Mehr zum ersten Prinzip der Gewaltfreiheit und Rücksichtnahme, Ahimsa, findest Du im Blog Ahimsa - Dein Yoga Lebensprinzip.
Satya bedeutet, Deine wahre Natur, Deine innere Wahrheit zu leben - ehrlich, wahrhaftig integer und authentisch zu sein. Dieser Blog bietet Dir zahlreiche Reflexionsfragen und Impulse, um mehr Satya in Deinem Leben zu entfalten. Nimm Dir dafür Zeit und leg Dir vielleicht etwas zum Schreiben parat, um für Dich wertvolle Fragen, Gedanken und Erkenntnisse zu notieren.
Damit wir uns richtig verstehen, gibt es gleich eine Begriffsklärung, wobei ich keine Deutungshoheit beanspruche.
Wahrhaftigkeit bedeutet das „Für-wahr-Halten“ der eigenen Aussage bzw. Überzeugung in einem konkreten Kontext sowie ein entsprechendes Verhalten. Dazu gehört auch die Bereitschaft, die eigenen Gedanken und - subjektive - Wahrheit zu überprüfen und der eigenen Begrenztheit demütig gewahr zu sein.
Ehrlichkeit meint das „Für-wahr-Gehaltene“ auszusprechen. Ehrlichkeit wird in den meisten Gesellschaften und Religionen als eine wertvolle Tugend betrachtet. Im Begriff Ehrlichkeit steckt das Wort „Ehre“ im Sinne von offenem und nicht manipulierendem, ehrenhaften Handeln, das allem Leben dient.
Ein integrer Mensch tut konsistent das Richtige auf Basis seiner bewussten, starken ethischen und moralischen Prinzipien bzw. Werte. Er ist unbestechlich, glaubwürdig und genießt Vertrauen. Integrität erfordert innerliche Stärke und den Mut, zur (inneren) Wahrheit zu stehen, auch wenn dies unangenehm wird.
Als authentisch wird ein Mensch wahrgenommen, der sich selbst unverfälscht, in echter, natürlicher Art und Weise zeigt und der aufrichtig, selbstbestimmt und integer handelt. Ein authentischer Mensch vermittelt Klarheit und Stabilität.
Wenn Du nun zu diesen Aspekten von Satya hinfühlst: Ist Satya für Dich persönlich erstrebensWERT und gerade auch in diesen Zeiten gesellschaftlich wünschenswert?
Bilden diese Werte einen für Dich innerlich stimmigen Orientierungsrahmen, eine ethische Handlungsrichtlinie?
Reflektierst Du regelmäßig, was wirklich WERTvoll für Dich ist und ob Dein eigenes Verhalten im Alltag Deinen Werten entspricht? Gehen damit Selbstwert und Selbstvertrauen einher?
Hältst Du eine mögliche Diskrepanz zu den von außen vermittelten Werten aus und kannst Du damit einhergehende Spannungen und Konflikte akzeptieren?
Hast Du den Mut, Dir selbst treu zu sein?
Halte einen Moment inne und reflektiere, wie ehrlich Du zu Dir selbst und anderen gegenüber bist; und wo nicht? Warum verleugnest Du Dich selbst: Um beachtet zu werden, zu gefallen, es anderen recht zu machen, höflich zu sein, nicht anzuecken, gemocht, akzeptiert und anerkannt zu werden?
Wir fühlen uns meist unwohl, gar schuldig, wenn wir die Erwartungen anderer Menschen nicht erfüllen. Wir wollen niemanden vor den Kopf stoßen, verletzen oder gar liebgewonnene Menschen verlieren.
Wann hast Du das letzte Mal geschwindelt, etwas erfunden, verschwiegen, vorgespielt oder beschönigt, um Deinem Gegenüber nicht weh zu tun, Dich oder andere zu beschützen bzw. Schaden abzuwenden?
Aus einem Bedürfnis nach Harmonie, Einheit und (materieller) Sicherheit oder auch aus Bequemlichkeit scheuen wir Konflikte und gehen Diskussionen aus dem Weg.
Und wir haben Angst: Angst, uns zu blamieren, abgelehnt oder verurteilt zu werden - Angst nicht dazuzugehören und alleine zu sein.
Bist Du mutig genug, um zu Dir, zu Deiner inneren Wahrheit zu stehen, zu dem was Du denkst, sagst, fühlst und tust?
Hältst Du es aus, unbequem zu sein und Dich vielleicht unbeliebt zu machen?
Wagst Du es auszusprechen, wenn Du etwas für falsch hältst? Geht das freundlich, ohne Beschuldigung und im Wissen, dass auch Du falsch liegen kannst?
Erlaubst Du Dir zu sagen, was Du brauchst - ohne zu fordern oder Dich kindlich trotzig zu verhalten?
Wann beugst Du Dich den Präferenzen, Wünschen, Bedürfnissen und Erwartungen anderer Menschen?
Wo verfolgst Du unbewusst übernommene Ziele, strebst nach in der Kindheit gelehrten Vorbildern oder gesellschaftlichen Idealen und politischen Utopien bzw. unterwirfst Dich religiösen Dogmen, die gar nicht zu Dir und Deinen Werten passen?
Dich ständig zu verstellen, Dir selbst und anderen etwas vorzumachen, ist nicht nur anstrengend, sondern bringt auch Leid. Unaufrichtigkeit führt zu inneren Konflikten, Scham, Schuldgefühlen und Störungen (Neurosen). Zudem vergiften Lügen das Zusammenleben. Schwierige Beziehungen sind vorprogrammiert.
Doch wo verläuft die Grenze zwischen toleriertem „prosozialen“ Flunkern und einer Lüge? Wann ist eine Not-Lüge gerechtfertigt und wann handelt es sich um verwerflichen Betrug?
Die Intention, also die dahinter steckende Absicht, macht den Unterschied: Dort wo die Wahrheit bewusst verdreht wird, um einen Vorteil aus einer Situation zu ziehen und dabei in Kauf genommen wird, dass das Gegenüber, das Gemeinwohl bzw. die Umwelt damit Schaden erleiden.
Ehrlichkeit bedeutet nicht, immer alles zu sagen was Du denkst und anderen Deine Meinung an den Kopf zu werfen. Manchmal ist es besser zu schweigen. Eine gute Richtlinie bieten dafür die drei Siebe des Sokrates: Bevor Du etwas sagst, prüfe:
Ist es wahr? Ist es gut? Ist es hilfreich?
Wenn etwas nicht wahr ist, nicht hilfreich und dienlich, wenn es gar kränkt und verletzt, wenn es nicht notwendig ist - dann schweige.
“Die Fähigkeit zu haben, im Umgang mit anderen Menschen ehrlich zu sein und gleichzeitig das Feingefühl zu besitzen, niemanden zu verletzen, erfordert eine innere Haltung von außergewöhnlicher Klarheit.” Dies führt nach Desikachar zu fehlerfreiem Handeln und den gewünschten Resultaten. Das Yoga-Sutra wird auch dahingehend interpretiert, dass, wenn unsere Gedanken und Worte in der Wahrhaftigkeit gründen, diese so stark werden, quasi eine magische Kraft entfalten, sodass sie sich verwirklichen.
Jeder Mensch hat seine eigene Wahrheit, seinen subjektiven Blickwinkel, seine Erfahrungen und unbewussten Muster. Ob eine Information bzw. Behauptung wahr ist, hängt davon ab, ob sich durch Argumente ein allgemeiner Konsens über ihre Übereinstimmung mit der Realität herstellen lässt. Die eine, endgültige, ewige Wahrheit gibt es nicht; vielmehr eine „upgedatete“ relative Wahrheit, eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Zudem kann unser konditionierter, begrenzter und urteilender Verstand die ganze Wahrheit nicht erfassen. Mittels Achtsamkeit und Meditation können wir allerdings unsere WAHRnehmung schulen und mehr Klarheit über uns selbst und die Welt erlangen.
Satya lässt sich auf der Yoga-Matte wunderbar kultivieren: In meinen Kursen, Privatstunden und natürlich in Deiner Yoga-Praxis zuhause. Yoga unterstützt Dich dabei, Dich selbst möglichst wertfrei kennen und verstehen zu lernen und im wohlwollenden Kontakt mit Deinem Körper und Deinen Emotionen zu sein. Dennoch bringt uns unser Ego häufig dazu, eine für uns nicht angemessene Körperhaltung, Atem- oder Meditationsübung zu praktizieren - was zu Verletzungen und Schmerz führen kann. Achte auf Deinen Atem. Er zeigt Dir, ob Du auf eine Dir entsprechende Art und Weise übst oder nicht.
Wenn Du Deinen Körper, Deine Gedanken und Emotionen mithilfe Deines Atems in Einklang bringst, kann eine tiefere Ebene Deiner Wahrhaftigkeit und inneren Wahrheit erfahrbar werden: Die Verbundenheit mit allem Leben.
Om Asato Maa Sad-Gamaya
Tamaso Maa Jyotir-Gamaya
Mrtyor-Maa Amrtam Gamaya
Übersetzt bedeutet dieses Mantra: Möge ich vom Unwirklichen (Täuschung) zur Wahrheit gelangen; aus der Dunkelheit (Unwissen, Ignoranz) ins Licht (spirituelle Erkenntnis, Wissen, Klarheit) schreiten; vom Tod (Vergänglichkeit) in die Unsterblichkeit (Befreiung, ins ewige Leben) geleitet werden.
Authentizität heißt nicht, immer gleich zu sein und zu handeln, sondern ist vielmehr eine Suche im persönlichen Entfaltungs- und Reifungsprozess.
Für mich war es immer wichtig, mir selbst in die Augen schauen zu können. Ein Vierteljahrhundert hab ich all meine Zeit und Energie in das Engagement für weltweit nachhaltige Entwicklungen gesteckt. Meine ethischen Wertvorstellungen waren stark und von meinen Forschungsaufenthalten in Subsahara-Afrika geprägt; immer weniger konnte ich mich mit dem identifizieren, was daheim als wichtig galt.
Mein vorherrschendes, antreibendes Gefühl war lange Zeit der Zorn auf das Unrecht und Elend in der Welt. Es war eine leidvolle Zeit, zumal ich alles sehr persönlich genommen habe. Der idealistische - und wie ich später erkannte, auch anmaßende - Kampf für eine bessere Welt, für Fairness, Umweltschutz, Frieden und für mehr Selbstbestimmung, war für mich identitätsbestimmend. Ich dachte, dass nur so mein Leben sinnvoll, wertvoll sein könne.
Am Mut, klare Worte zu finden, wenn ich etwas für falsch oder unrecht empfinde, hat es mir selten gefehlt; auch wenn dies oft Unmut erregt und ich mich mitunter sehr einsam und ungeliebt gefühlt habe. Manchmal wäre es weiser gewesen zu schweigen und erst einmal zuzuhören. Doch fehlte es mir dafür noch an Gleichmut, entsprechendem Wohlwollen und Großzügigkeit, auch mir selbst gegenüber.
Fühlend zu verstehen galt und gilt als unwissenschaftlich, der Verstand wird (noch) überbewertet. Um beides zu vereinen, habe ich Selbstvertrauen und Zeit gebraucht.
Der Wunsch nach einem guten Leben für alle und die Sehnsucht nach einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel in Richtung eines systemischen, ganzheitlichen Welt- und Menschenbildes führten mich wohl zum Yoga. Als ich mich mehr und mehr auf den Yogaweg und die Reise nach innen begab, empfand ich dies zunächst als Verrat an meinen hehren Zielen. Auch war es für mein zunächst noch starkes Ego schwierig, anstatt als Vorständin eines Uni-Institutes große Vorträge zu halten und mit Vertreter*innen aus Wissenschaft, sozialen Bewegungen, Wirtschaft und Politik zu diskutieren, „nur“ mehr Yogalehrerin zu sein. Hinzu kommt, dass es weder leicht noch angenehm ist, die persönliche Ausrichtung und den gewählten Weg immer wieder kritisch zu hinterfragen und sich seinen Schattenseiten zu stellen.
Doch nie habe ich es bereut. Vier grundlegende Emotionen (Bhavanas) wollen am Yoga-Weg entfaltet werden: Mudita, Maitri, Karuna und Upeksa - es geht um eine heitere Grundhaltung, Freundlichkeit und Wohlwollen, Sanftheit, Zugewandtheit und Mitgefühl, Gleichmut und Großzügigkeit. So kann das gute Gefühl in mir immer stärker werden: Zufriedenheit, Dankbarkeit und tiefe Lebensfreude machen sich breit. Damit ist heute eine echte Beziehung in Form von Liebe möglich.
Wir sind nur fähig, den anderen zu erkennen, verstehen und zu lieben, wenn wir uns selbst erkennen, verstehen und lieben.
Für diese Erkenntnis und Erfahrung bin ich zutiefst dankbar, auch all meinen Wegbegleiter*innen - vor allem meiner Tochter Flora Sophia.